Widerruf der Vorstandsbestellung aus wichtigem Grund – Verstoß gegen das Gebot unbedingter Offenheit

Dem klagenden Vorstandsmitglied waren verschiedene Nebentätigkeiten (Beratungstätigkeit, Mandate) genehmigt worden. Nach dem Wechsel des Großaktionärs und dem damit einhergehenden Wechsel des Aufsichtsrats-vorsitzenden begehrte der Aufsichtsratsvorsitzende in einem Schreiben an den Kläger Auskunft u. a. über Beratungsverträge mit Gesellschaften, die für die beklagte AG als Beteiligungs- und Investitionsziele in Betracht kämen. Es bestand Streit darüber, inwieweit die Tätigkeit des Klägers einen unlösbaren Interessenkonflikt barg. Der Aufsichtsratsvorsitzende warf dem Kläger diesbezüglich die Erfüllung eines „klaren Straftatbestandes“ vor.

Der Kläger erteilte die gewünschte Auskunft nicht innerhalb der dafür gesetzten Frist, woraufhin der Aufsichtsrat die Bestellung des Klägers als Vorstand der Beklagten mit sofortiger Wirkung widerrief und den Dienstvertrag fristlos kündigte.

Das OLG München bejahte die Wirksamkeit des Widerrufs der Vorstandsbestellung. Die Nichtbeantwortung der Fragen des Aufsichtsratsvorsitzenden durch den Kläger stellt einen wichtigen Grund für die Abberufung als Vorstand nach § 84 Abs. 3 S. 1, 2 AktG dar. Die dortige Aufzählung der wichtigen Gründe grobe Pflichtverletzung, Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung und Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung seien nicht abschließend. Vielmehr sei in Rechtsprechung und Literatur als wichtiger Grund auch ein Verstoß des Vorstands gegen das Gebot der unbedingten Offenheit gegenüber dem Aufsichtsrat anerkannt. Dieser Grundsatz folge letztlich aus dem Gedanken, dass das Verhältnis zwischen Vorstand und Aufsichtsrat auf gegenseitigem Vertrauen beruhen muss. Ist dieses notwendige Vertrauen des Aufsichtsrats zerstört, kann der Vorstand aus wichtigem Grund abberufen werden.

Einen solchen Vertrauensverlust stellte das Gericht im vorliegenden Fall fest. Spätestens durch das Schreiben des Aufsichtsratsvorsitzenden sei das Vertrauensverhältnis massiv erschüttert gewesen. Vor diesem Hintergrund hätte es dem Kläger oblegen, durch schleunige Beantwortung das Vertrauensverhältnis zum Aufsichtsrat wieder herzu-stellen bzw. zu festigen. Durch die Nichtbeantwortung der Fragen habe er hingegen die Störung des Vertrauensver-hältnisses weiter vertieft. Dieses nachhaltig gestörte Vertrauensverhältnis habe es für die beklagte AG unzumutbar gemacht, die Organstellung des Klägers bis zu ihrem regulären Ende fortdauern zu lassen. Diese Unzumutbarkeit ist Voraussetzung für einen Widerruf der Vorstandsbestellung.

Hinsichtlich des bestehenden Dienstvertrages verneinte das Gericht demgegenüber die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung. Ein wichtiger Grund für den Widerruf der Organbestellung rechtfertige zwar häufig, aber nicht zwingend auch die fristlose Kündigung des Dienstvertrages. Vorliegend war der erkennende Senat zu der Auffassung gelangt, dass die Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses vom Aufsichtsratsvorsitzenden jedoch zumindest mitverursacht worden sei, indem dieser dem Kläger Pflichtwidrigkeit und strafrechtlich relevantes Verhalten vorgeworfen hatte, dessen Voraussetzungen der erkennende Senat verneinte. Daher erscheine es nicht angemessen, den Kläger die sozialen Folgen der fristlosen Beendigung tragen zu lassen und ihm seine Vergütungsansprüche abzuerkennen.

Zusammenfassung

1. Ein wichtiger Grund für den Widerruf der Vorstandsbestellung nach § 84 Abs. 3 AktG kann vorliegen, wenn das Vorstandsmitglied gegen das Gebot der unbedingten Offenheit gegenüber dem Aufsichtsrat verstößt und dadurch das notwendige Vertrauen des Aufsichtsrats zerstört ist.

2. Ein wichtiger Grund für den Widerruf der Bestellung zum Vorstandsmitglied rechtfertigt nicht zwingend auch die fristlose Kündigung des Dienstvertrages. Es ist in Abwägung der wechselseitigen Interessen zu prüfen, ob ein für den Widerruf der Bestellung ausreichender Grund auch den Wegfall der Vergütungsansprüche aus dem Dienstvertrag rechtfertigt.

OLG München: Urteil vom 14.03.2012 – 7 U 681/11; Quelle: BeckRS 2012, 13795 Hinweis

Im Gegensatz zur Abberufung des Vorstands einer AG, die nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes erfolgen kann (vgl. § 84 Abs. 3 AktG), ist der Widerruf der Bestellung des Geschäftsführers einer GmbH zu jeder Zeit auch ohne Vorliegen eines Grundes möglich (vgl. § 38 Abs. 1 GmbHG). Ausnahmsweise kann die Zulässigkeit des Widerrufs der Geschäftsführerbestellung auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes beschränkt sein, etwa wenn der Gesellschafts-vertrag (§ 38 Abs. 2 GmbHG) oder das Mitbestimmungsrecht dies vorschreibt (§ 31 Abs. 1 MitbestG), eine entsprechende Treuebindung der Gesell-schafter untereinander oder sonstige schuldrechtliche Absprachen bestehen.